Einblick ins UND#16
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UND
Die Beziehung zum eigenen Körper ist für uns alle eine konfliktbehaftete. Ein Auf und Ab des Selbstwertes und Selbstempfindens. Wie sieht eure Beziehung zu eurem Körper aus?
Tobias
Also, ich finde Körper ja äußerst praktisch. Die sind ein super Werkzeug und ein sehr gutes Material, weil man sie so flexibel einsetzen kann.
Ali
The body is a battlefield. Nicht bei dir?
Lialin
Es ist mir schon häufig aufgefallen, dass männlich sozialisierte Personen sich weniger mit diesem Problem herumschlagen. Diesbezüglich sind sie einfach selbstbewusster. Das zeigt sich auch bei meinen Kunden. Viele von ihnen neigen dazu zu sagen: »Ja, so sehe ich eben aus. So bin ich und das ist okay.« Manchmal muss man ihnen aber beibringen, dass Körperhygiene doch wichtig ist.
Emma
Für mich war und ist das Thema ein großes Konfliktfeld, das mich schon begleitet, seitdem ich 13 Jahre alt war. Kaum, dass sich mein Körper anfing zu verändern. Damals empfand ich mein Äußeres als sehr unattraktiv. Mein Ideal war es, extrem dünn zu sein. Ich wollte, dass man meine Hüftknochen deutlich sehen konnte. Dieses Ziel habe ich jedoch nie erreicht, trotz meiner Bemühungen.
Ausschlaggebend dafür waren hauptsächlich die Körperideale, die in Filmen dargestellt wurden, und mein Interesse für Mode. In beiden Fällen werden hauptsächlich sehr dünne Körper präsentiert. Damit habe ich mich viel zu viel verglichen.
Sophia
Diese Schönheitsnormen abzulegen, also quasi zu verlernen, das ist echt Hardcore. Ich bin in den 90er-Jahren sozialisiert worden. Also mit Bravo, einem sehr engen Frauenbild und einem sehr starken, toxischen Männerbild. So empfinde ich es zumindest. Mein künstlerisches Schaffen ist da auch eine Form der Befreiung daraus.
Auf persönlicher Ebene habe ich es aber nie geschafft, diese Normen ganz abzulegen. Vor allem, was das Körperbild betrifft. Mein Gewicht schwankt zum Beispiel sehr. Da muss ich mich immer wieder neu auf meinen Körper einlassen. Ich hatte zum Beispiel mal einen Auftritt im Volkstheater in München. Da war ich gerade so am oberen Ende meines Gewichtsspektrums. Der Auftritt verlief super und währenddessen habe ich mich sehr gut und selbstbewusst gefühlt.
Aber später habe ich eine Videoaufnahme gesehen, wo ich aus dem Publikum heraus schräg von unten gefilmt wurde. Das hat mich total aus dem Konzept gebracht. Als ich mich da gesehen habe, dachte ich: »Sophia, du bist nicht curvy-sexy, sondern du bist eine Tonne. Und zwar auch noch so eine schlaffe Tonne!« Da haben mich diese verdammten Schönheitsnormen wieder voll eingeholt.
Emma
Man betrachtet sich selbst stets aus einer ganz seltsamen Perspektive. Ich nehme da meist die Position einer furchtbar strengen Person ein. Mit ganz realitätsfernen Schönheitsidealen. Das ist ein zutiefst patriarchaler Blick, dem du nie ganz entfliehen kannst. Selbst, wenn du alleine bist, begleitet er dich.
Sophia
Ich habe mal ein Urlaubsbild von meiner Mama gepostet. Darauf waren ihre Brüste und ihr Gesicht lustig angemalt. Man konnte deutlich erkennen, wie die Zeit Spuren auf ihrem Körper hinterlassen hat. Da waren überall so Klappen aus Haut und Fett. Man konnte also gut sehen, dass es an der einen oder anderen Stelle schon etwas klappert. Sie ist halt auch schon 61 und hat fünf Kinder geboren. Da bleibt zwangsläufig was zurück auf dem Körper.
Als ich das Bild gepostet habe, habe ich auf einen Schlag über 100 Follower verloren. Weil die Leute das Bild als eklig empfanden. Ein alter, nicht normschöner Körper war offensichtlich zu viel für einige Leute. Das fand ich dann schon überraschend, wie stark Leute darauf reagiert haben.
Emma
Spannend ist da auch, dass man diesen gesellschaftlichen Blick, der einen bewertet, nicht abstreifen kann. Auch, wenn man ihn selbst nicht teilt. Dabei betrifft dieser Blick vorrangig mich selbst. Ich beurteile nur mich so streng. Ich schaue auf keine andere Person herab und das habe ich auch nie. Selbst während meiner Essstörungszeit habe ich nie abwertend über die Körper anderer Personen geurteilt. Die Körper der anderen haben immer gepasst, nur meiner nicht. Ich habe alles immer nur auf mich selbst bezogen.
Lialin
Das ist so ein ganz ungesunder Egozentrismus, den wir alle in uns tragen. Man bewertet in erster Linie immer sich selbst, nicht andere Personen. So war es bei mir auch, als wir einen Filmbeitrag über meine Arbeit gedreht haben. Die Filmaufnahmen von mir konnte ich fast nicht aushalten, weil ich mir sofort dachte: Ein bisschen mehr Sport würde mir guttun! Von dem Kunden, mit dem wir da gedreht haben, dachte ich das nicht. Den fand ich gut so, wie er war.
Sam
Wenn wir über Körperbilder sprechen und wie wir das gesellschaftlich und individuell behandeln, dann darf auch Körperbehaarung nicht vergessen werden. Ich habe mir zum Beispiel sehr lang die Beine rasiert, obwohl mir das immer lästig war. Aber ich habe mir Sorgen gemacht, dass cis Männer keinen Sex mit mir haben wollen, wenn mein Körper behaart ist.
…
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Im Gespräch waren:
Ali Janka & Tobias Urban sind zwei der vier Köpfe hinter der Künstlergruppe Gelitin und haben sich unseren Fragen gestellt // Gelitin realisieren gemeinsam Performances mit einem hohen Grad an Körpereinsatz // sie wechseln immer wieder »I« und »A« in ihrem Gruppennamen und haben fast wie beiläufig weltweit bedeutende Ausstellungen realisiert: mehrmals Biennale Venedig, Aichi Triennale (Japan), Shanghai Biennale (China), Galerien in London, MoMA PS1 (New York), Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris und viele andere // www.gelitin.net // @gelitin_official
Lialin bietet unter ihrem Pseudonym seit rund 10 Jahren Sexualbegleitung an // inzwischen hauptberuflich // vorher hat sie Biologie studiert und sich mit Abfallwirtschaft beschäftigt // nur zufällig ist sie auf die Sexualbegleitung gestoßen und bereut es bis jetzt keine Sekunde // einzig eine Bergrallye in einem VW Käfer würde ihr zum perfekten Glück noch fehlen // www.libida-sexualbegleitung.info
Sophia Süßmilch wurde als deutsche Staatsbürgerin im letzten Jahrtausend geboren und wird in diesem sterben // sie ist studierte Bildhauerin und Malerin, aber dennoch die Königin des Pfusches // ihre Arbeiten pendeln dabei zwischen ironischer Distanz und aggressiver Nähe // ihre Arbeiten entspringen im Idealfall der Liebe zum Menschen // im schlimmsten Fall der Flucht vor der Ohnmacht // zur Beruhigung malt sie Ölbilder // sie lebt in München, Wien und Berlin // sophiasuessmilch.com // @sophia_suessmilch
Emma* ist mit ihren 19 Jahren die jüngste unserer Interviewpartner*innen // sie widmet sich gerade ihrem Studium der Psychotherapie // abseits davon sehnt sie sich nach der idealen Balance zwischen Alone-Time und sozialer Interaktion // die schönsten Träume sind für sie Flugträume // vielleicht auch ein Grund, warum sie gerne einmal einen Bungeesprung absolvieren möchte *Name auf Wunsch der Person geändert
Sam* würde sehr gerne fliegen können (aber ohne, dass es jeman dem auffällt) // dann könnte hen viel mehr in der Natur unterwegs sein und sich ganz frei fühlen // hen ist 26 und non-binary // Sex-Positivität, Trans Liberation, Fat Liberation, Feminismus, Queere Liberation und (Anti-) Rassismus hängen für hen alle zusammen und hen musste sich mit allen auseinandersetzen, um sich als trans outen zu können *Name auf Wunsch der Person geändert
Lenix* hat ein bisschen gebraucht um einen Platz für den eigenen Körper in der Gesellschaft zu finden // jetzt ist Lenix sehr froh sichtbar zu sein, auch wenn es, als trans Person, manchmal ein Risiko mit sich bringt // Lenix ist Anfang 30 // forscht zu trans Gesundheit und macht ganz viel Aktivismus // nur der Besuch einer sex-positiven Party steht noch aus // den Tag beginnt Lenix am liebsten mit einem Pfannkuchen-Frühstück und Kuschelzeit mit Lieblingsmenschen *Name auf Wunsch der Person geändert
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