Einblick ins UND#15

Solange der Sombrero sich dreht

Mit einem Auge für das Kleine und Feine macht Sophie Vizthum den Wiener Prater zur Welt, damit ihre Figuren im Schein der Attraktionen einander finden können. Eine zarte Beziehungsgeschichte über zynischen Weltschmerz, Social-Media-Tristesse und die kleinen Freudenmomente im Leben. Humor als Rettungsanker. Und sei es nur für den Kilimandscharo, der von einem Gipfel zum nächsten lächelt.

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Louis liebt Pflanzen, die kein Wasser brauchen und Menschen, die seine Lügen mit einem Mal runterschlucken wie eine Handvoll Gummibären. Bis heute hält er den Rekord auf der Herr der Ringe-Flippermaschine im Mega Fun Palast, weil seine größten Gegner, die Boomer, die Flintstones-Flippermaschine einfach viel cooler finden.

Ich treffe Louis auf meinem Weg zur Arbeit im Lokal Zum Edelmann, wobei die edlen Männer hier bestenfalls vorbeigehen und einen Kommentar über die Lautstärke unserer Gäste vor dem »Schnapsloch« abgeben. Das »Schnapsloch« ist ein Loch in der Küchenwand, über das wir seit Jahren Abschlussrunden für etwas zu laut gewordene Gäste und Personen, die sonst alleine wären, zelebrieren. Wir haben Top-Bewertungen in puncto Diskretion auf Google. Wir servieren in Espresso-Tassen.

Ich entdecke Louis in einer kurzen Warteschlange vor der Wild­wasserbahn. »Auf Instagram scheint immer die Sonne«, sagt er, als ich zu ihm rüber gehe und mich gegen die Scheibe vom Ticketstand lehne. Auf Louis T-Shirt steht: »ich bin müde und grumpy – dein forever sunshine.«
»Traurig, der Juli«, redet er weiter, während die ersten Tropfen vom Himmel fallen. »Aber einmal fahren geht sich noch aus.« Ich beobachte ihn unter meinen frisch getuschten Wimpern und blinzle einmal mehr als notwendig. »Du bist so ein Streuner, Lou, dich kriegt keine ins Trockene, oder?« Erstaunt sieht er mir zum ersten Mal an diesem Dienstagnachmittag in die Augen. »Heisenberg – kennst du, oder?« »Mmh«, lüge ich und blinzle ihm zu. »Ich bin eine Welle.« Ich runzle die Stirn. »Was?« Er zuckt mit den Schultern. »Mal hier, mal dort. Facebook hat keinen Schimmer, was ich gern hab.« Ich lächle und nicke in Richtung Prater-Hauptallee. »Ich habe noch etwas Zeit, bis meine Schicht beginnt. Nass werden wir sicher eh gleich. Kommst du?«

Ich lerne Louis auf einer Zugfahrt »nach Panama« kennen. Er steht vor mir in der Schlange und schaut nervös auf seine Armbanduhr. »Ich würde dich ja vorlassen, aber du bist schon vor mir«, sage ich mit möglichst cooler Stimme. Louis trägt eine dunkle Sonnenbrille, obwohl dicke Wolken über uns hängen. »Und was führt dich auf Reisen?«, fragt er mich, mit diesem verschmitzten Lächeln. »Prüfung verschissen. Kein Bock zu früh zur Arbeit zu erscheinen«, murmle ich vor mich hin. »Macht doch nichts«, erwidert er. »Immerhin hast du einen Grund, um hier zu sein.« »Oh – und du stehst hier nur zum Spaß?« »Ich glaube schon, ja. Manchmal mache ich einfach Dinge, ohne nachzudenken. Das tut gut.« »Zum Beispiel?« Und Louis schmunzelt: »Zum Beispiel habe ich mir letztens ein T-Shirt mit kleinen, gestickten Bergen gekauft, die lachen.«

Wir einigen uns auf eine Fahrt Sombrero, einem überdimensionalen, sich drehenden Hut spanischer Herkunft, von dem sich bislang noch niemand gestört gefühlt hat. Ich binde mir meine Haare zurück und setze mich neben Louis in den Bauch einer böse schauenden Kaktee. »Wusstest du, dass hier mal Venedig war?«, fragt er, während sich die Bügel senken und vor unseren Bäuchen schließen. »Ne«, antworte ich knapp. »Ich war noch nie in Venedig.«
»Ist ja auch nicht notwendig, um abgezockt zu werden.«
»Achso?«, ich lehne mich so weit vor, wie der Bügel es zulässt.
Louis nickt. »Kannst du hier auch, nur viel billiger. Geh zum alten Rudi Schlitzohr zu seiner Automatenhalle auf 47, der hat seine Maschinen so programmiert, dass nur jeder siebzigste was gewinnt. Ein echter Geschäftsmann.«
»Aber Venedig soll schön sein«, erwidere ich, als sich der Sombrero langsam in Bewegung setzt. »Ay caramba«, erklingt eine metallene Stimme aus dem Lautsprecher über uns. »Willkommen, willkommen.«
»Das war die Weltausstellung auch«, ruft Louis mir zu, während mein Körper mit dem Sitz verschmilzt.
»Als ob du dort gewesen wärst«, schreie ich jetzt.
»Du hast ja nie gefragt, wie alt ich bin!«
»Sicher nicht über 100!«
»Nein, aber gerade so 99.«
»Ha ha.«
Aber ich kann nicht verhindern, dass ich lache.

»Morgen hänge ich ein bisschen im Narnja Café ab«, erklärt er mir, als wir vor dem Wirtshaus angekommen sind. Er meint damit seinen Kumpel Faro, der ein Lokal für schwarzen Kaffee, ultrasüße Nachspeisen von seiner Mama und ein, zwei Glücksspielautomaten hinter einer geheimen Tür im Kleiderschrank eröffnet hat. »Kannst ja dazustoßen, ab sechzehn Uhr.« Ich nicke und sage, dass ich da­rüber nachdenken werde und überlege bereits, ob das bauchfreie Top mit grinsender China-Katze gebügelt ist. »Bis nachher also«, verabschiedet er sich, so als ob die Nacht dazwischen nicht der Rede wert wäre. »Und denk daran, wenn du einen Dreier in Mathe schreibst, darfst du mein Second Life-Ich küssen«, rufe ich ihm hinterher, weil ich genau weiß, dass Louis keinen Spaß in der Abendschule hat. Er gibt mir einen Daumen nach oben und verschwindet im U-Bahn-Abgang. Ehe ich meine Arbeitsbluse zwei Knöpfe zu weit öffne, fische ich noch schnell mein Handy aus der Hosentasche, um einer Freundin zu schreiben: »die bergkette auf seinem t-shirt lächelt von einem gipfel zum anderen :)« Und tatsächlich strahlt der kleine gestickte Kilimandscharo auch noch am nächsten Tag, als ob es kaum kälter sein könnte.

Vor der Eingangstür des Narnja Cafés treten zwei Gäste ihre Zigaretten ganz tief in den Boden; das letzte Bisschen ihres rauchigen Atems ziehen sie hinter sich her wie Luftballons. Ich versuche durch die angelaufene Scheibe zu sehen, aber erkenne nichts, außer karmesinrote Polstermöbel, in deren ausgesessenen Mitten ein Dutzend junger Leute ihre Hintern wetzt. Ein paar Blicke huschen zu mir rüber, wie ich da stehe, waschelnass und aufgeschminkt, verloren zwischen einer Plastikpalme, die ihre Blätter verliert und einem Zeitungsständer, auf dem die Krone zum Trocknen hängt. »Ich suche Louis«, sage ich zu Faro, der mich bereits erkannt hat. »Da hinten«, maunzt er und ich folge seinem Blick. Louis sitzt an der Bar, selbes Outfit wie gestern, die Augenringe eine Spur tiefer. »Wie war’s?«, frage ich ihn, und lasse mich auf den Hocker neben ihm fallen. Wie beiläufig lehnt Louis seine linke Schulter gegen meine. Mein Blick fällt auf ein frisches Cut, das auf seiner Stirn klafft. »Warst du wieder-«, doch er winkt ab. »Bin im Glaspalast gegen eine Scheibe gerannt«, sagt er mit einem Grinsen, das seine Augen nicht berührt und ich schlucke die Lüge. »Besser du bleibst auf Reisen, hm?«, sage ich und drücke meine Schulter aufmunternd gegen seine.

Über Sophie:

Sophie redet wirklich gerne, wirklich viel // sie ist ein Energiebündel mit einer Leidenschaft für Kurzgeschichtensammlungen // wenn sie sich freut, dann hüpft sie – ausnahmslos // im Jahr 2022 veröffentlichte sie ihre beiden Prosatexte Im Möbelhaus (litrobona) und Im Sommer fühlen wir uns groß (radieschen) // @soph.mit.ie

Über ihre Arbeit schreibt sie:

Ich wollte dieses Gefühl einfangen, wenn wir vielleicht gerade nicht vor- und nicht zurück wissen – aber gut gesichert im Achterbahnwaggon, zehn Sekunden vor dem Fall, einfach mal den Bügel loslassen und im Hier und Jetzt die Hände hochreißen. Es ist diese Leichtigkeit, die meine Protagonist*innen verbindet und der Ernst des Lebens, den sie hinter sich lassen wollen. Zumindest für die Dauer einer Fahrt.

 

Nicht dein Ding? Kein Problem. Das UND#15 hat noch viel mehr zu bieten. Da ist für jede*n was dabei!


>> Lach mit dem UND statt im Keller!

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